Ich habe ja schon in dem vorherigen Beitrag erwähnt, dass Plot und Figuren nicht getrennt geplant werden können, und so war es auch bei Ella. Natürlich hatte ich relativ schnell ein konkretes Bild von Ella im Kopf … genau wie von Ben und Maja. Das bringt die Entwicklung des Plots eben so mit sich. Aber alle anderen Figuren waren eher schwammig.
Da ich die ausführliche Planung von Figuren aber nicht besonders mag, habe ich mich zunächst ein bisschen davor gedrückt. Ich dachte mir zwar, dass es so nicht ausreichen würde, redete mir aber ein, dass es schon irgendwie gehen würde – falsch gedacht. Ich weiß, dass es Autoren gibt, die diese ganze Planung sehr akribisch und auch sehr gerne machen, aber ich habe immer das Gefühl, dass mich die Figurenplanung ausbremst und dafür sorgt, dass ich mit der Planung der Geschichte nicht weiterkomme. Also geschah die Figurenplanung relativ oberflächlich, was meiner ersten Version wohl auch anzumerken war.
Die Autorin Sylvia Englert (schreibt unter dem Pseudonym Katja Brandis Jugendromane) war bereit, meine Geschichte zu lektorieren. Sie schrieb mir ein Gutachten, aus dem hervorging, dass sich meine Geschichte durchaus für den Buchmarkt eignen würde, aber erst nach einer gründlichen Überarbeitung. Ein Problem waren unter anderem meine Figuren.
Kurz drauf besuchte ich in Heidelberg einen Schreibworkshop bei Dr. Anette Huesmann, der mir wirklich die Augen geöffnet hat, was die Figurenplanung angeht. Es kommt vielleicht nicht so sehr darauf an, jedes noch so winzige Detail über die Figur zu wissen, aber sie darf auf gar keinen Fall eindimensional werden.
Stattdessen kommt es auf drei Dimensionen an (nach Lajos Egri), damit eine Figur Tiefe bekommt:
1. auf die körperliche Dimension (dazu gehört das Aussehen, aber auch der Charakter)
2. auf die soziale Dimension (d.h. das soziale Umfeld, aber auch der soziale Hintergrund, zum Beispiel: Warum ist die Figur so, wie sie ist? Was für Freunde hat sie? Wie ist sie aufgewachsen? Ist ihr in der Vergangenheit etwas Schlimmes passiert? Wie sind die Eltern und woran glauben sie?)
3. auf die geistig-seelische Dimension (zum Beispiel: Welche Ängste und Motive hat die Figur? Woran glaubt sie? Wovon träumt sie?)
Sich zu all diesen Punkten Gedanken zu machen, ist verdammt viel Arbeit. Aber es lohnt sich. Erst dann ist eure Figur nicht oberflächlich. Im Internet gibt es unzählige Listen an Kriterien, nach denen man eine Figur planen kann. Auch in den Ratgebern von Sylvia Englert und Elizabeth George finden sich solche Listen, die ich auch tatsächlich bei der Überarbeitung benutzt und meinen Collegeblock damit gefüllt habe (zu dem Zeitpunkt noch ohne Notizbücher).
Hier noch ein paar Dinge, die ich bei der Figurenplanung gelernt habe:
1. Es ist ungünstig, wenn die Hauptfigur (noch dazu als Ich-Erzähler) passiv, wortkarg und abweisend ist. Ella war in der ersten Version noch viel „schlimmer“ als jetzt. Aber dadurch hat sie, obwohl sie die Hauptfigur ist, die Handlung nicht vorangetrieben, sondern wurde immer von anderen mitgerissen – ungünstig!
2. Die Figuren dürfen nicht perfekt sein. Jede Figur braucht Schwächen, sonst wird sie unrealistisch. In meiner ersten Version war Ben viel zu nett, ließ sich alles von Ella gefallen, obwohl sie – wie gesagt – noch biestiger war. Also wurde Ben ein kleiner Frauenheld. Aber sind wir mal ehrlich: Im Grunde ist er immer noch zu nett.
3. Unbedingt Klischees vermeiden! Denn sonst wird eure Figur kein individueller Charakter. Als Alison drohte zu sehr ins Klischee abzudriften, wurde sie eben Automechanikerin.
4. Mir fällt es schwer über eine Figur zu schreiben, wenn ich kein konkretes Gesicht vor Augen habe. Ich kann mir alles Mögliche über eine Figur ausdenken, auch was das Aussehen angeht. Aber oft bleibt das Gesicht in meiner Vorstellung unscharf. Ich kann mir irgendwie nicht einfach ein „neues“ Gesicht ausdenken. Vielleicht geht das anderen Autoren anders. Ich löse das, indem ich im Internet nach Schauspielern, Musikern usw. stöbere und mir ansehe, wer zu meiner Vorstellung passen würde. Das klingt vielleicht seltsam, aber es hilft mir beim Schreiben, weil ich dann eine ganz konkrete Vorstellung habe und nicht nur das, was ich über die Figur aufs Papier gebracht habe.
5. Der letzte und wohl wichtigste Punkt (ich habe mit Sicherheit welche vergessen): Figuren und Plot sind nicht voneinander trennbar, weil die Figuren die Handlung vorantreiben. Daher muss eure Hauptfigur in Konflikte geraten und mit dem Rücken zur Wand stehen. So erzeugt ihr Spannung, ohne dass ihr gleich einen Thriller schreiben müsst. Der Leser muss sich dafür interessieren, wie es weitergeht, wie eure Hauptfigur diesen Konflikt lösen wird. Der Leser muss wissen wollen, was eurer Figur passiert und wie sie damit umgeht.
Wenn ihr all das berücksichtigt habt, kann das Schreiben beginnen …